Warum Theologie?
Für die einen dient Theologie der kritischen (Selbst-)Reflexion des Protestantismus und seiner (noch) kultur- und gesellschaftsprägenden Kraft. Es wird erhofft, Theologie könne einen Beitrag leisten, den „Gottesbezug“ in (jüdisch-christlicher Prägung) auch in einer säkularisierten und zugleich zunehmend multireligiösen Gesellschaft zu erhalten. An den Universitäten, im Gespräch mit den anderen Wissenschaften, hat sie dann ihren richtigen Ort.
Dagegen ist prinzipiell nichts zu sagen und deckt sich auch mit einem staatlichen Interesse. Das Grundgesetz verpflichtet den Staat zu religiöser Neutralität und zur positiven Gleichbehandlung aller Religionen, die in ihren Lebensäußerungen auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. Der Mitglieder- und Akzeptanzverlust der Institution Kirche in der Gesellschaft und die parallel dazu verlaufende zunehmend kirchenkritische Haltung auch in Teilen der Politik zeigt allerdings, dass der Protestantismus allenfalls noch eine Stimme in einem Konzert von wertvermittelnden und sinnstiftenden „Angeboten“ ist.
Darauf muss und wird auch der Staat reagieren. Die Zahl der theologischen Fakultäten und Lehrstühle wird sich in absehbarer Zeit mit weiter sinkenden Studierendenzahlen deutlich reduzieren. Die theologischen Disziplinen werden eingegliedert in „benachbarte“ Fachrichtungen. Orientalistik, Religionswissenschaften, Philosophie, Soziologie… werden als „natürlichen“ Referenzwissenschaften ihre theologischen Schwestern bei sich aufnehmen. Christliche Theologie wird auch perspektivisch ihren akademischen Platz nicht gänzlich verlieren – schon allein deshalb nicht, weil es ein staatliches und gesellschaftliches Interesse gibt und geben muss, auch wissenschaftlich fundierte und öffentlich gefördert „islamische Theologie“ an staatliche Universitäten anzubinden und die Gleichbehandlung der Religionen staatlich geboten ist. Religion in die demokratische Gesellschaft zu integrieren, statt auf dem Weg eines Laizismus Gefahr zu laufen, sie in Winkel abzuschieben, hat sich bewährt und es bleibt begründet zu hoffen, dass dieser Weg weiter beschritten wird.
Aber nun sagen andere, nicht dagegen, aber darüber hinaus:
Theologie hat von Haus aus einen anderen Ort! Den zu erinnern, scheint angesichts der Diskussion um die Kirchliche Hochschule Wuppertal nötiger denn je.
Der Ort der Theologie ist im Anfang und bleibend die Kirche. Unbeschadet dessen, dass sie auch in andere Orte „einwandern“ kann, soll und muss!
Evangelische Theologie als (auch wissenschaftlich verantwortete) „Rede“ oder „Lehre“ von „Gott“ ist der menschliche Versuch, „Gott“ zu verstehen und zur Sprache zu bringen. Dabei legt sie offen, dass sie vom „Evangelium“ herkommt, das Jesus Christus brachte, selbst war und ist. Sie spricht von dem lebendigen Gott, der sich selbst in der Geschichte seiner Taten vorstellt und bekanntmacht und dies nicht nur in der Vergangenheit getan hat – wovon die Bibel Zeugnis gibt –, sondern bis heute tut. Diese Offenbarung Gottes erkennt die Theologie als auch sie bindend an.
In dieser „Begrenzung“ findet sie nicht nur ihre Freiheit, sondern weiß sich an einen bestimmten Ort gewiesen, an dem sie ihre genuine Funktion hat. Dieser Ort ist die Kirche, konkret: die Gemeinde.
Die „Gemeinschaft der Glaubenden“ erkennt die Notwendigkeit der Begleitung, Kritik und Orientierung ihres gelebten und organisierten Glaubens durch eine auch wissenschaftlich verantwortete Theologie an und wünscht sie.
Die genuine Aufgabe der Theologie ist es, mit dafür zu sorgen, dass der Glaube und die aus ihm erwachsenden Lebensäußerungen der Kirche nicht „unvernünftig“ werden, aber „übervernünftig“ bleiben, weil der Friede Gottes „höher ist als unsere Vernunft“.
Die Kirche erwartet von der Theologie, dass sie diese kritische Aufgabe wahrnimmt, damit die Kirche und ihre Gemeinden sich nicht den Zeitläuften, variierenden Weltanschauungen oder wechselnden Machtverhältnissen, Ereignissen und Gewalten unterordnen.
Eine solche Theologie, die dezidiert um ihren Ort in und ihre „Funktion“ für die Kirche und die Gemeinden weiß, liegt im ureigensten Interesse der Kirche, und für ihren Fortbestand muss sie sich zumindest zeichenhaft, exemplarisch verantwortlich zeigen.
Darum halten wir es für ein gefährliches Zeichen, wenn sich die EKiR (wie zuvor schon viele andere Gliedkirchen der EKD) aus der eigenen Verantwortung für das „grundständige“ Theologiestudium, das zum Pfarrdienst führen soll, herausnähme und an die noch vorhandenen staatlichen Fakultäten abträte. Das staatliche und gesellschaftliche Interesse an Theologie ist dezidiert ein anderes als das der Kirche und der Gemeinden.
Uns leitet weniger die Sorge, um einen absehbaren (ggf. politisch motivierten) Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit an staatlichen Universitäten, wenn wir eindringlich für den Erhalt des grundständigen Theologiestudiums an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal werben. Uns geht es darum, dass die Kirche sich des Wertes und der Notwendigkeit einer Theologie bewusst bleibt oder wird, die ihren Ort und ihre kritisch-konstruktive Funktion in der Kirche hat und darum in deren genuiner Verantwortung liegt. Den an der KiHo (heute und in Zukunft) Lehrenden muss gerade diese Funktion ihres Forschens und Lehrens von elementarer Bedeutung sein.
Dass die Kirchliche Hochschule vor einer einschneidenden Transformation steht und die Entwicklung eines Bildungscampusses, wie jetzt angedacht, dazu eine hilfreiche Antwort sein kann, bestätigen wir ausdrücklich. Dieser Campus, an dem Aus-, Fort- und Weiterbildung unterschiedlichster Berufe und Berufungen im Raum der Kirche und darüber hinaus ihren Platz finden könnten, bliebe aber hinter seinen Möglichkeiten und seinen Erfordernissen zurück, wenn er das grundständige Theologiestudium ausschlösse.
Am Ende wird die Landessynode der EKiR zu entscheiden haben, was ihr eine wissenschaftliche, kritische, biblische, kirchen- und gemeindeorientierte Theologie wert ist – auch finanziell. Dass sie dabei unter den heute gegebenen finanziellen Rahmenbedingungen Prioritäten und Posterioritäten benennen muss, steht außer Frage. Sie sollte aber nicht dem Irrtum erliegen, das vermeintlich „kostenfreie“ Theologiestudium an den Universitäten habe auf Sicht keinen Preis. Es könnte sein, dass der sich nicht in Euro ausdrückt, sondern in einer die realexistierenden Gemeinden und Kirchen vergessenden Theologie und in theologievergessenen Kirchen und Gemeinden.
Die theologisch interessierten Gemeindeglieder, die es nach wie vor gibt, werden auf die Antwort gespannt sein.
Pfr. Dr. Jochen Denker (vom KSV Wuppertal beschlussmäßig übernommen und von der Kreissynode im November 2024 unterstützt)