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“Die Angst vor Veränderung nehmen” – Prof. Dr. Hellmut Zschoch im Interview

Bild zum Beitrag “Die Angst vor Veränderung nehmen” – Prof. Dr. Hellmut Zschoch im Interview

Veröffentlicht am 14. Juli 2022

Prof. Dr. Hellmut Zschoch hält am Donnerstag, 21. Juli 2022, um 17.30 Uhr seine Abschiedsvorlesung im Audimax der Kirchlichen Hochschule Wuppertal (KiHo) zum Thema „Martin Luther – der radikale Reformer“. Interessierte sind herzlich eingeladen. Zschoch hatte seit 1995 den Lehrstuhl für Kirchengeschichte inne und vertrat die KiHo u.a. in Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR). Am 1. Oktober 2022 geht er in den Ruhestand.

Verabschiedet wird zudem Zschochs Assistent Christian Koch, der nach erfolgreicher Promotion die KiHo ebenfalls verlässt. Koch hat seine Disseration dem Thema „Die Oxford-Bewegung auf der Suche nach der Kirche der Väter. Eine Analyse der historiographischen Konstruktion konfessioneller Identität am Beispiel des Traktarianismus“ gewidmet. Mehr dazu lesen …

Wie Zschoch auf 27 Jahre Lehrtätigkeit als Kirchengeschichtller zurückblickt und welche Lehren er aus dieser Zeit für Hochschule und Kirche zieht, lesen Sie in diesem Interview.

Herr Zschoch, am 1. Oktober 2022 endet ihre Ära als Professor an der KiHo. Was werden sie am meisten vermissen?

Vor allem die Arbeit mit den Studierenden, mit den Kolleginnen und Kollegen und mit allen Mitarbeitenden. Anders als an den großen Universitäten kennt man sich an der KiHo ja persönlich. Und da man sich auf dem KiHo-Campus sehr leicht über den Weg läuft, häufig rein zufällig, ist der gegenseitige Austausch entsprechend intensiv. Auch die überschaubaren Gruppengrößen, die wunderbare Bibliothek am Ort sowie die Nähe zwischen Wohnung und Hochschule habe ich sehr geschätzt.

Was werden sie weniger vermissen?

Ich werde sicherlich nicht sehr traurig darüber sein, dass ich keine Sitzungstermine mehr habe.

Sie haben 27 Jahre lang an der KiHo gelehrt. Wie hat sich das Theologiestudium in dieser Zeit verändert?

Durch die Modularisierung, die im Zuge der Reform der Studiengänge in Deutschland eingeführt wurde, gibt es heute viel mehr Vorgaben als früher, welche Kurse die Studierenden belegen müssen. Glücklicherweise wurden für das Theologiestudium nicht noch die Bachelor- und Master-Abschlüsse übernommen, sondern das Schlussexamen und viele Wahlmöglichkeiten beibehalten. Unabhängig davon ist der Rechtfertigungsdruck für das Theologiestudium gestiegen. Sowohl bei den jungen Menschen, die sich gegenüber Freunden und Freundinnen mehr als früher erklären müssen, wenn sie sich für dieses Studium entscheiden, als auch bei den Lehrenden, die sich mehr denn je gezwungen sehen, die Wissenschaftlichkeit des Studiums zu begründen. Was sich auch verändert hat, sind die Sprachkenntnisse, die die Studienanfänger heute mitbringen. Während es früher die Regel war, dass sie Kenntnisse in mindestens eine der Sprachen Latein, Griechisch und Hebräisch aus der Schule mitbrachten, müssen heute mehr als die Hälfte alle drei Sprachen an der KiHo neu erlernen.

Welchen Handlungsbedarf leiten Sie daraus ab? Wie sollte sich das Theologiestudium vor diesem Hintergrund verändern?

Man sollte die Curricula des Theologiestudiums auf den Prüfstand stellen. Für mich stellt sich beispielsweise schon die Frage, ob der Spracherwerb auf dem Niveau der staatlichen Abschlussprüfungen für unsere Absolventinnen und Absolventen wirklich sinnvoll ist. Größere Aufmerksamkeit wird man in Zukunft auch der Frage widmen müssen, wie das Theologiestudium gesellschaftliche Entwicklungen thematisiert. In Feldern wie der Feministischen Theologie oder der Interkulturellen Theologie wird das aktuell ganz deutlich. Die KiHo ist in diesen Bereichen gut aufgestellt. Das ist aber nicht überall so.

Spielt das Thema Digitalisierung ebenfalls eine Rolle?

Ja, die Digitalisierung hat das Theologiestudium bereits verändert. Die Corona-Pandemie hat uns allen gezeigt, welche Möglichkeiten digitale Technologien und Medien bieten und wie wichtig sie plötzlich sein können. Ich habe mich in den vergangenen zwei Jahren oft gefragt, wie und vor allem ob wir es nur per E-Mail oder per Post geschafft hätten, den Hochschulbetrieb angesichts des Präsenzverbotes aufrecht zu erhalten. Zudem haben wir festgestellt, dass wir durch digitale Übertragungen die Zahl der Menschen, die wir durch unsere Veranstaltungen erreichen, stark erhöhen können. Wir haben dann aber auch gemerkt, dass für das Theologiestudium die leibhaftige Präsenz und Kommunikation unerlässlich ist. Die um digitale Möglichkeiten ergänzte KiHo bietet als Präsenzhochschule mit ihren kurzen Wegen zwischen Hörsälen, Bibliothek, Wohnheim und Kapelle einen einzigartigen Campus für das Theologiestudium. Am Ende sollte es immer darum gehen, die besten Mittel dafür zu finden, das Evangelium zu verkünden und Menschen für diese Aufgabe zu bilden.

Welche Rolle spielt das Fach Kirchengeschichte im Zuge aktueller und künftiger Veränderungsprozesse?

Der Kirchengeschichte wird innerhalb der Theologie zuweilen die Rolle der Archivarin zugewiesen, die vor allem die Bestände der Vergangenheit hütet. Das aber halte ich für zu kurz gegriffen. Denn aus der Analyse der Vergangenheit lassen sich viele Erkenntnisse gewinnen, die normativ für die Veränderungen – heute sagt man ja gerne auch Transformationen ‒ sein können, die in Gegenwart und Zukunft anstehen. Damit hilft das Fach Kirchengeschichte maßgeblich, historische Erfahrung zu reflektieren und Betroffenen die Angst vor der Veränderung zu nehmen.

An welchen Beispielen können Sie aus eigener Erfahrung zeigen, wie das Fach Kirchengeschichte eine solche Wirkung entfalten kann?

Die Erarbeitung der Ausstellung zur Barmer Theologischen Erklärung von 1934 in der Gemarker Kirche ist so ein Beispiel. Sie wurde 2014 unter dem Titel ‚gelebte Reformation‘ eröffnet. Bei den konzeptionellen Vorbereitungen ging es im Wesentlichen darum zu verstehen, was es in unterschiedlichen Epochen eigentlich hieß, sich zu bekennen. An welchen historischen Momenten sich diese Entwicklung darstellen lässt. Und wie sich der Kirchenraum als historischer Ort in die Ausstellung einbinden lässt und welche Rolle die Barmer Innenstadt spielt. Von diesen Erkenntnissen haben am Ende nicht nur die Beteiligten profitiert, sondern vor allem auch die Ausstellung. Eine ähnliche Wirkung habe ich bei einer kleineren Ausstellung erlebt, die 2010 anlässlich des 75. Jahrestag der KiHo-Gründung im Jahr 1935 gemeinsam mit Bibliothek und Studierenden entwickelt wurde.

Können auch Vorträge eine solche Wirkung erzielen?

Ja. Im Jahr 2006 ‒ damals war ich noch nicht Landessynodaler ‒ wurde ich gebeten, vor der Landessynode einen Vortrag über die Geschichte der presbyterial-synodalen Kirchenordnung vom 16. bis ins 20. Jahrhundert zu halten, als Hintergrund für aktuelle Fragen zu deren Weiterentwicklung. Das war ein Thema, von dem ich zu diesem Zeitpunkt keine Ahnung hatte, in das ich mich also intensiv einarbeiten musste. Der Vortrag hat zu den damals drängenden Fragen offenbar weitergeholfen, so dass ich seitdem in der EKiR als Fachmann in Sachen Kirchenordnung gelte. Das Ganze führte schließlich auch dazu, dass ich im Rahmen des Projekts ‚Kirche mit leichtem Gepäck‘ an der grundlegenden Reform der Kirchenordnung, sprich: an ihrer Halbierung, mitarbeiten konnte. Das Ergebnis soll der Landessynode im Januar 2023 vorgelegt werden.

Die Synode schlägt, wenn sie sich 2023 schwerpunktmäßig dem Thema ‚Bildung‘ widmet, einen starken Bogen zur KiHo. 2020 hatten die Synodalen ihre Unterstützung für die KiHo bekräftigt. Was meinen Sie, warum sollten sie an diesem Entschluss auch in Zukunft festhalten?

Der Beschluss der Landessynode von 2020 brachte ja nicht nur die Unterstützung der KiHo zum Ausdruck. Vielmehr formulierte er auch inhaltliche Kriterien, warum und mit welchen Perspektiven die EKiR die theologische Forschung und Lehre in eigener Regie benötigt. Das gilt in der heutigen Zeit, in der notwendige Veränderungen angesichts der demographischen und finanziellen Entwicklungen absehbar sind, ganz besonders. Wichtig ist dabei anzumerken, dass Kirche – Gemeinden, Kirchenkreise und Landeskirche ‒ um ihres Auftrags willen eine kritische Theologie und einen Ort braucht, an dem die Theologie solidarisch, gemeinschaftlich und in enger Verbindung mit dem kirchlichen Leben betrieben wird. Das ist an einer kleinen Hochschule in kirchlicher Trägerschaft wie der KiHo besonders gut möglich. Auch deshalb – und das würde ich den Synodalen weiterhin mit auf den Weg geben – ist die KiHo ein wichtiger Ort für die Weiterentwicklung von Kirche.

Prof. Dr. Hellmut Zschoch, Jahrgang 1957, Vater von zwei Kindern, studierte Theologie in Mainz und München, wo er nach dem Vikariat in Lich (Oberhessen) auch promovierte. Anschließend arbeitete er einige Jahre als Pfarrer in Wald-Michelbach (Odenwald). Nach seiner Münchner Habilitation übernahm er 1995 den Lehrstuhl für Kirchengeschichte an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal (KiHo), die er seit 2007 auch in der Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR) vertrat. Nach dem Ende seiner Lehrtätigkeit bleibt er der KiHo u.a. als Vorsitzender des Fördervereins verbunden.