Prof. Dr. Christopher Brittain
Veröffentlicht am 18. April 2023
In Krisenzeiten zeigen sich viele Menschen anfällig für Sorge, Furcht und Panik, woraus oft Misstrauen sowohl gegen die eigenen Nachbarn als auch alle die resultiert, die “anders” sind. Wie können die Kirchen auf diese Herausforderung reagieren? Und warum unterliegen auch Christ*innen dieser Dynamik? Wegweisende Antworten auf diese Fragen stellt der Theologe Prof. Dr. Christopher Brittain am 24. April 2023 in seinem Vortrag über “Kirche in Krisenzeiten” an der Kirchlichen Hochschule (KiHo) Wuppertal vor.
Die Kirchen selbst haben sich in Krisenzeiten nicht immer vertrauenswürdig verhalten. Beispiele lassen sich in der Geschichte viele finden – von den mittelalterlichen Kreuzzügen über den Nationalismus vor dem Ersten Weltkrieg bis hin zum Antisemitismus, der in Nazi-Deutschland zum Holocaust führte. Selbst bei Wirbelstürmen oder Erdbeben schrecken die Kirchen nicht vor diskriminierender Propaganda zurück. So geschehen nach dem Hurrikan Kathrina, der 2005 weite Teile der US-Metropole New Orleans zerstörte.
Brittain ist Dekan des Trinity College an der Universität von Toronto. Seit rund 15 Jahren geht er in seinen Vorlesungen der Frage nach, warum die christlichen Kirchen in Krisensituationen ihren ureigensten Forderungen nach Solidarität und Barmherzigkeit wiedersprächen – und wie sich das ändern lässt. Schließlich führe dieses Verhalten dazu, so seine Beobachtung, dass eine wachsende Zahl junger Menschen an der Glaubwürdigkeit der Kirchen zweifelten und das Interesse an ihnen verliere.
Eine riskante Entwicklung. Denn der Klimawandel und die zunehmenden Spannungen, die er verursache, stelle die Gesellschaft laut Brittain vor immer neue Herausforderungen. Die Netflix-Film, “Don’t look up” Serie schildere das eindrucksvoll. Wie aber können Kirchen den Menschen helfen, die Spannungen rund um die sich abzeichnende Klimakrise zu bewältigen, ohne dabei Polarisierung und Polemik zu erliegen? In einem Punkt ist sich Brittain sicher: Das Weltgeschehen nur mit Fakten zu erklären, reiche nicht mehr aus, um das Verhalten der Menschen zu verändern. „Was wir brauchen ist eine emotionale Ebene.“
Brittain stützt seine Forschungen auf theoretische Grundlagen, die die US-amerikanische Philosophin Judith Butler und der britische Theologe Tom Gregg entwickelt haben. Beide haben aus unterschiedlichen Blickwinkeln untersucht, wie es in einer stark individualisierten Gesellschaft gelingen kann, das Leiden und die Sorgen von Menschen ernst zu nehmen. Der Begriff der „sozialen Vorstellungskraft (social imaginary)“ spielt dabei eine zentrale Rolle.
Mit diesem Rüstzeug hat sich Brittain auf die Suche nach den Ressourcen in der zeitgenössischen Kirchenlehre gemacht, die die Rolle des Heiligen Geistes bei der Berufung der Kirche als Gemeinschaft betonen. „Als Vertreter*innen der christlichen Kirchen müssen wir uns die Frage stellen, ob wir eine Kultur des ungezügelten Individualismus predigen oder wieder mehr Gemeinschaft leben wollen, die durch die Kraft des Heiligen Geistes sichtbar und die Sorge für Mitmenschen sichtbar wird.“ Dabei komme es im konkreten Handeln nicht nur auf versöhnliche Worte, sondern vor allem auch auf Gesten an, die Solidarität und Zusammengehörigkeit der Menschen untereinander bezeugten, beispielsweise wenn Pfarrer*innen in Moscheen gehen, um bedrohten Muslimen Unterstützung und Schutz anzubieten. „Das sind heute keine bahnbrechenden Erkenntnisse mehr“, räumt Brittain ein. „Dazu gehört aber auch die Forderung, dass wir als christliche Kirchen unsere Tradition tief bedenken müssen, wenn wir den Herausforderungen unserer Zeit treuer begegnen wollen.“
Im Rahmen der „Systematisch-Theologischen Sozietät“ referiert Dr. Christopher Brittain am Montag, 24. April 2023, von 19.00 bis 20.30 Uhr zum Thema „For a Church that Looks Up without Punching Down: Praying the Disaster in a Time of Climate Emergency. (Für eine Kirche, die nach oben schaut, ohne nach unten zu schlagen: Die Katastrophe predigen in einer Zeit des Klimanotstands)”. Der Vortrag wird in englischer Sprache gehalten. Die Veranstaltung findet im Hörsaal 3 der KiHo statt. Interessierte sind herzlich eingeladen.